Urlaub vom Garten

AG-Schulhof/ März 1, 2018/ 0Kommentare

aus Gerda Nissen: “… und füllt mein Herz mit Freude – aus meinem Gartentagebuch”, BLV 1996

Bevor der Winter ein
Machtwort spricht,
bereitet er den Garten
mit Nebelschleiern und
Reifkristallen auf seine
Herrschaft vor.

Der Wind hat auf Nordost gedreht – immer noch kein Schnee. Man riecht den Frost in der Luft. Ich werde nach der Heizung sehen und mir einen Kaffee kochen. Das ist schön – die erste Pause nach vielen Feiertagen. Kein Programm mehr. Ruhe im Revier.
Im Keller stoße ich auf den Rasenmäher, buchstäblich, nämlich mit dem Knöchel. Autsch, sage ich, wieso schläfst du nicht? Ich denke, du hast mich längst vergessen?
Hat er aber wohl nicht, denn es war erst Anfang Dezember, dass wir unsere gemeinsame Saison beendeten. Natürlich viel zu spät. Wir waren mal wieder die letzten im ganzen Viertel. Vor allen ordentlichen Gärtnern, die schon zufrieden beim Adventskaffee saßen, habe ich mich geschämt.
Na, Schwamm drüber. Alles ist vergessen – die Schlammschlacht im Novemberregen, die Wettläufe mit der frühen Dunkelheit, der zähe Lehm an den Gummistiefeln. Für zehn genüßliche Wochen werde ich jetzt Urlaub vom Garten nehmen.
Für zehn? fragt eine zweifelnde Stimme in mir. Also gut, aber mindestens acht.

Den Kaffee trinke ich im Sessel, der am Gartenfenster steht. Auch das ist schön: Die Tür hinter sich zu machen, in der Wärme sein und das unwirtliche Draußen sich selbst überlassen.
Der Garten ist flach wie ein Teppich, zurückgegangen in die zweite Dimension. Nur das Pfeiffengras steht senkrecht. Unvorstellbar, dass diese kahle Ebene jemals einen hüfthohen, bunten Dschungel von Pflanzen getragen haben soll. Wie habe ich es bloß geschafft, all das vom Frost versengte Grünzeug auf den Kompost zu bringen?
Unter einer warmen Mulchdecke und den immer noch bunten Herbstblättern der Bäume kuscheln sich meine Stauden in den Winterschlaf. Nur die Zwiebeln der Frühjahrsblüher führen schon ein heimliches Leben. In einigen Wochen werden sie als erste diese stille, in sich ruhende Fläche aufbrechen. Wie kleine, weiß, gelb und blau-funkelnde Edelsteine. Verstreut zuerst, dann dicht geschlossen – Vorläufer all der grünen Buckel und spitzigen Säulen, die sich im April und Mai auf wundersame Weise aus der dunklen Erden heben. Immer wieder fasziniert mich diese Rückkehr plastischer Pflanzenarchitektur. Bis dahin kann ich in Ruhe zusehen, wie mein Garten sich selber macht.
Die meisten Leute wollen, dass ihr Garten auch im Winter nicht seine Gestalt verliert, dass das Prinzip seiner Anlage erkennbar bleibt. Sie erreichen das zum Beispiel mit geometrischen Mustern der Buchsbaumhecken im formalen Garten, die noch im Schnee sichtbar bleiben und ein reizvolles Design von Licht und Schatten bilden. Andere helfen sich mit Gruppen von immergrünen Gehölzen, die in der farblosen Jahreszeit markante Akzente setzen und Perspektive in die stille Fläche bringen.
Auch laubabwerfende Gehölze und Sträucher tun da wertvolle Dienste. Oft ist das Filigran ihrer kahlen Äste und Zweige fast schöner als ihr Sommerkleid – ganz besonders, wenn Reif oder Schnee ihren schönen Wuchs kontrastreich nachzeichnen.
Wenn ich solche Gärten im Winter sehe, bin ich entzückt. Und trotzdem war ich nie versucht, diese Prinzip auf meinen Garten zu übertragen. Wer weiß, woran das liegt? Vielleicht lebt in mir noch insgeheim ein Stückchen Ur-Erfahrung vorgeschichtlicher Steppenvölker, die auf kahlen, unwirtlichen Ebenen überwintern mussten und unter deren Füßen das scheinbar tote Land alljährlich wie in einer Explosion von Duft und Farbe zu neuem Leben erwachte.
Es ist dieses “primitive” Glück, wieder einmal davongekommen zu sein, wieder das Wunder einer Neugeburt erleben zu dürfen, das mir mein öder Garten schenkt, wenn der Blüten- und Pflanzenteppich endlich die hartgefrorene Kruste sprengt. Das was sich da gestaltet, erinnert in nichts mehr an den Garten des Winters – und so soll es sein für mich.
Winterlinge, Schneeglöckchen und sogar Märzenbecher sind manchmal schon im Januar dagewesen – fast zu früh für meine süße Winterlethargie – und wurden dann bei strengen Frösten mit Sorge beobachtet. Doch jetzt ist es noch nicht soweit.

Über den Rand der Kaffeetasse hinweg streifen meine Augen das dämmrige Gefilde halb träumerisch, halb aufmerksam – der Maulwurfshaufen wegen, die manchmal unversehens auf dem Rasen auftauchen. Ganz hinten am Rand meines Schattenbeetes, auf dem die Maiglöckchen, Blaublattfunkien und Astilben schlafen, leuchtet ein winzig heller Punkt.
Moment mal – war der gestern schon da? Ist er gelb oder ist er weiß?
Die Brille tut es nicht, also hole ich das Fernglas. Und im schiefergrauen Dämmerlicht reicht auch das nicht aus. Na, was soll’s, ich will Kaffee trinken. Doch es fängt an, in der Herzgegend zu kribbeln und in den Füßen auch. Könnte nicht doch schon…?
Wäre es möglich, dass da ein vorwitziges Ding von Winterling…?
Ach, ich kenne das zu gut – wozu noch vergeblich Widerstand leisten? Ich füge mich besser gleich in das Unvermeidliche: Gummistiefel und Anorak her, ich muss da leider mal hin.
Am Ort der Entdeckung sammle ich fröstelnd eine kleine, weiße Porzellanscherbe auf. So etwas Dummes – und dafür wird mein Kaffee kalt!
Nicht nur das, sagt die leise Stimme in mir, ab morgen wirst du jeden Tag nach dem ersten Winterling suchen.

Urlaub vom Garten – Welcher Gärtner hätte den je gehabt?

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